harald.walser | 7. Okt, 15:11
Respekt! FPÖ-NR Bernhard Themessl hat heute schriftlich (
Themessl-Stellungnahme (pdf, 2,807 KB)) zugegeben, im Wahlkampf falsche Zahlen zur Beschäftigungsquote von MigrantInnen verwendet zu haben und zahlt anstandslos die versprochenen 1.000,- € an Dr. Kurt Greussing. Das verdient Respekt und unterscheidet ihn deutlich von vielen seiner ParteikollegInnen. Vielleicht mündet die Auseinandersetzung ja doch noch in eine fruchtbringende Diskussion.
Anbei die gestern angekündigte Stellungnahme von Dr. Greussing:
Der Herr Abgeordnete Themessl hat nicht irgendeine Wette um € 1000.- verloren, die er bei günstigeren Umständen vielleicht auch hätte gewinnen können. Er hat vielmehr eine Leistungsvereinbarung nicht eingehalten – nämlich anhand der verfügbaren Statistiken seine Wahlkampfbehauptung zu belegen, von den ca. 50.000 Netto-Zuwanderern des Jahres 2006 hätten bisher höchstens 5000 eine Erwerbsarbeit aufgenommen – mit anderen Worten: 90% der Zuwanderer würden nicht arbeiten und lägen dem österreichischen Steuerzahler auf der Tasche.
Mit solchen und ähnlichen Behauptungen haben FPÖ und BZÖ die Wahl gewonnen. Die Behauptungen werden nach Belieben wiederholt, und sie werden nie belegt – außer man zwingt die Politiker dazu, zum Beispiel mit der vorliegenden 1000-Euro-Vereinbarung, die ich mit Herrn Themessl im Anschluss an einen seiner Wahlkampfauftritte geschlossen habe. Andersfalls hätten er und andere Politiker ein solches Ersuchen um beweiskräftige Belege nach der Wahl wohl prompt vergessen. Wäre Herr Themessl nicht zu einer Zahlung bereit gewesen, wäre ich mit der Sache vor Gericht gegangen. Dieses Verfahren empfiehlt sich auch für zukünftige Wahlkämpfe.
In seiner Stellungnahme, deren statistische Ausführungen für viele nicht gut nachzuvollziehen sein werden, erweckt Herr Themessl den Eindruck, er habe zwar diese Leistungsvereinbarung nicht erfüllt, aber es gehe nur um eine Differenz von ein paar Tausend und er liege in der Tendenz richtig. Ich werde Herrn Themessl – und mit ihm allen Interessierten – eine detaillierte Stellungnahme zukommen lassen, in der ich belege, warum Herr Themessl mit seinen Zahlen zur Arbeitsaufnahme von Zuwanderern grundsätzlich falsch liegt. Das geschieht nicht, um Herrn Themessl zu belehren – Konsequenzen muss er selber ziehen -, sondern um einer interessierten Öffentlichkeit klar zu machen, warum die von Herrn Themessl bemühten Zahlen grundsätzlich falsch und folglich unsachlich sind.
Übrigens: Herr Themessl hat seine im Wahlkampf verwendeten Zahlen nicht selbst erfunden oder gar recherchiert, sondern sie ungeprüft von seinem Chef HC Strache übernommen. Der wiederum hat sie in einer Fernsehdiskussion aufgrund eines „Presse“-Interviews mit dem Demographen Professor Heinz Fassmann geäußert – das Herr Strache, kein Wunder, leider nicht kapiert und Herr Themessl offenbar nichts selbst gelesen hat.
In der Sache geht es um Folgendes: Herr Themessl geht in seinen Ausführungen (Link oben) nirgends auf das Jahr 2006 ein, auf das ja unsere Abmachung ausdrücklich bezogen wurde. Das Jahr 2006 ist nicht willkürlich gewählt. Denn 2005 trat das neue Fremdenrechtspaket in Kraft, das die Bedingungen für eine Zuwanderung erheblich eingeschränkt hat. Statt dessen kommt Herr Themessl mit Jahresdurchschnitten von 2004 bis 2007. Macht auch nichts – bleiben wir dabei. Denn auch hier liegt Herr Themessl mehrfach falsch:
1. Seine Beschäftigtenzahlen 2004-2007 (nach dem „Statistischen Handbuch der Sozialversicherung 2008“) sind ausschließlich die der unselbständig Beschäftigten. Er lässt also die Erwerbsarbeit durch Selbständige – auch durch selbständige Arbeitsmigranten - unter den Tisch fallen - ausgerechnet der selbständige Versicherungskaufmann Themessl! Das spricht nicht für eine besondere Wertschätzung des Kleingewerbes und seiner Beschäftigungseffekte (Selbständige und mithelfende Familienangehörige), die er ja in seiner eigenen Familie verspüren müsste. Und er müsste unter seinen Kunden ja auch genügend solcher selbständiger Arbeitsmigranten (samt mithelfenden Familienangehörigen) haben, die beispielsweise bei ihm eine Lebensversicherung oder eine Einbruchversicherung für ihren Kebab-Laden abschließen. Diese Selbständigen überhaupt nicht zu berücksichtigen, ist schon einmal einer der gravierenden Fehler.
2. Bei Themessls Zahlen zur Ausländerbeschäftigung stimmt eine Zunahme um 49.913 Personen von 2004 auf 2007. Nur: Von daher kann man leider keinen Zusammenhang mit der Ausländer-Zuwanderungsbilanz 2004-2007 von 185.299 herstellen. Denn
a) umfasst die Mehrbeschäftigung bei Themessl wiederum nur die Unselbständigen;
b) sind in dieser Zahl auch Arbeitsmarkteintritte von Ausländern, die sich bereits im Inland befinden (also nicht zuwandern), sowie Arbeitsmarktaustritte von Ausländern enthalten, die dann im Inland bleiben (Pensionisten, sonstige Aufgabe von Jobs) – also Vorgänge, die gar nichts mit der Wanderungsbilanz zu tun haben. Wanderungsbilanz und Beschäftigtenbilanz sind zwei komplett unterschiedliche Paar Schuhe, die unmittelbar nicht miteinander nicht miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Denn
c) die Bilanz-Zahl der Ausländer-Mehrbeschäftigung (2004-2007) von rund 50.000 könnte rein mathematisch sogar ALLE Zuwanderer enthalten. Das wäre dann der Fall, wenn zum Beispiel in den vier Jahren (2004-07) insgesamt
- nur (sagen wir) 4000 "inländische Ausländer" in den Arbeitsmarkt eingetreten wären, aber
- 139.000 ausländische Arbeitskräfte aus dem Erwerbsleben ausgeschieden (aber nicht zurückgewandert) wären und
- alle 185.000 Zuwanderer tutti quanti einen unselbständigen Job aufgenommen hätten.
- Dann hätten wir nämlich eine Ausländer-Beschäftigten-Bilanz von ebendiesen 50.000 – ist das nicht super?
Natürlich schaut das in der Realität anders aus. Es demonstriert aber die Naivität von Themessl und seinen freiheitlichen Mit-Mathematikern, die glauben, man könne die Beschäftigten-Bilanz der Ausländer umstandslos mit der Ausländer-Wanderungsbilanz in Zusammenhang bringen.
Ich will das an Themessls eigenem Gewerbe zeigen: Wenn er 2004 500 türkische Versicherungsnehmer betreut hat und 2007 510 – bedeutet das, dass er nur 10 türkische Neukunden gewonnen hat? Natürlich nicht: Es könnten ruhig 300 Neukunden sein – nämlich dann, wenn 290 Altkunden ihre Polizzen nicht mehr verlängert haben. Merke: Man kann aus einer Bilanzzahl nicht auf Umsätze schließen.
3. Das Zitat des Demografen Heinz Fassmann aus der Presse vom 12.5.2007 (
http://diepresse.com/home/import/thema/303529/index.do?from=suche.intern.portal), auf den sich Herr Themessl letztlich beruft, hat er offenbar nie im Original gelesen, sondern nur im verstümmelten Ausschnitt des FPÖ-Pressedienstes. Fassmann bezieht sich da nämlich auf Zuwanderungen aus Drittstaaten (also Nicht-EU-14 = Nicht-EWR-Staaten) aufgrund der fremdenrechtlichen Quotenregelungen für Schlüsselkräfte und deren Familienangehörige - also so genannte "gesteuerte Zuwanderung". Und da kommen wir (2006) in der Tat nur auf knapp über 1000 direkte Bewilligungen sowie eine maximale Zahl von 4.500 Angehörigen, von denen dann ein unbekannter Prozentsatz auch eine Beschäftigung aufgenommen hat – also auf eine Zahl von 1000 bis 5000 Beschäftigungsaufnahmen, wie sie Fassmann erwähnt. In Wirklichkeit aber - von Fassmann nicht erwähnt - kommen zu diesen Arbeitsaufnahmen von Dritt-Staat-Zuwanderern natürlich noch jene nachziehenden Familienangehörigen, die nach dem vorgeschriebenen Jahr Wartezeit eine Arbeit aufnehmen, sowie alle Arbeitenden unter den Zuwanderern aus den "alten" EU-Staaten – im Jahr 2006 allein rund 9.400 netto aus Deutschland (Zahlen aus: 2. Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht 2001-2006, Klagenfurt 2007, S. 65, 147-150).
Das alles mag für Herrn NR-Abg. Themessl natürlich höhere Mathematik sein, die er – zugegeben – nicht studiert haben muss. Aber dass er gerade bei den tüchtigen und anständigen Deutschen unterstellt, die würden sich bei uns auf die faule Haut legen, ist schon eine besondere Leistung für einen FPÖ-Politiker.
Herr Themessl kennt natürlich die Trends der Ausländerbeschäftigung durchaus – in seiner Eigenschaft als ehrenwerter und allseits geschätzter Hohenemser Versicherungskaufmann. Dass er sie als Politiker nicht wahrhaben will und mit verdrehten, unbegründeten Zahlen auf Stimmenfang geht, stimmt traurig. Denn wenn er als Versicherer mit einfachen statistischen Berechnungen ebenso umgehen würde wie als Politiker, dann würden seine Kunden entweder bei den Prämien beschissen oder das Themesslsche Familienunternehmen würde in die Pleite rauschen. Beides würde ich – als Freund der Stadt Hohenems – sehr bedauern.
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