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4. April 2011

„Allgemeinbildung“ zwischen Humboldt und Facebook

Humboldt_WilhelmHumboldt_AlexanderWas bedeutet „Allgemeinbildung“? Wilhelm (links) und sein Bruder Alexander von Humboldt mögen gnädig darüber hinwegsehen, wenn wir heute darüber diskutieren: Zu ihrer Zeit gab es noch so etwas wie einen gesellschaftlichen Konsens darüber, was unter dem Begriff zu verstehen ist. Heute ist das schwerer zu definieren. Aber auf einen wesentlichen Punkt können wir uns beziehen: Auch für die Humboldts war „Allgemeinbildung“ mehr als nur angehäuftes Wissen, sie hatte einen Zweck: die Weiterentwicklung des Menschengeschlechts in geistiger, ethischer und ästhetischer Hinsicht. Doch was bedeutet das konkret?
Darüber lässt sich natürlich trefflich streiten, denn hinter den Vorstellungen von „Bildung“ und „Allgemeinbildung“ stehen weltanschauliche Positionen. Das ist ein Grund dafür, warum generell schul- und bildungspolitische Auseinandersetzungen mit großer Vehemenz und nicht selten mit Verbissenheit geführt werden.
Und auch eine Hauptursache der gegenwärtigen Blockade in der Bildungspolitik soll kurz angesprochen werden: „Bildung“ als Möglichkeit, sich nach „unten“ abzugrenzen. Wenn alle Dämme brechen, soll zumindest das Gymnasium garantieren, dass das eigene Kind vor den Gleichaltrigen aus der Türkei, Albanien oder Rudolfsheim-Fünfhaus sicher ist. Soweit so zynisch! Ich habe dazu auf diesem Blog und im „Falter“ ausführlich Stellung genommen („Die Statuspanik der Mittelschicht“). Trotz allem Standesdünkel aber ist die Frage nach den Inhalten berechtigt und die Antwort schwierig bis unmöglich: Kann ich davon ausgehen, dass mein Gegenüber mein Wehklagen über eine „Sisyphos-Arbeit“ versteht und unter einem „Canossagang“ keinen Ausflug vermutet? Muss man man wissen, dass Lionel Messi ein Weltfußballer ist und „Kogolito“ nicht? Letzteres ist nämlich nur der Spitzname für den Grünen Budgetsprecher Werner Kogler. Auf ein allgemeinverbindliches Standardwissen können wir uns in unserem Weltdorf sicher nicht mehr einigen.
Auf einige Parameter aber sollten wir uns einigen: Wir können in Zeiten der technologischen Revolution und dem für viele Menschen fast überall und jederzeit möglichen Zugang zum „Weltwissen“ nicht mehr so tun, als beginne das Lernen in der Schule und finde nur oder hauptsächlich dort statt. Wissen ist schnelllebig, und das in einer Bildungseinrichtung erworbene Wissen reicht oft kaum noch für den Start in die nächste. Das muss Konsequenzen haben. Unser Bildungssystem muss sich stärker als früher auf den Erwerb von Kompetenzen und weniger auf das formale Wissen orientieren. Kompetenzen sind kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Problemlösung. Sie sind somit deutlich mehr als nur „Wissen“. Aber es ist ein altes Bonmot, dass ohne Wissen die besten Kompetenzen nichts nützen. Unterricht muss – und er tut es bereits – sich stark in Richtung Kompetenzorientierung entwickeln. Es geht also zunehmend (auch) um den Umgang mit Wissen (das „Wie“) und etwas weniger als bisher um die simple Aneignung des Unterrichtsstoffs (das „Was“).
Beides muss im Unterricht einer demokratischen Gesellschaft künftig gleichberechtigt im Vordergrund stehen: der Wissenserwerb bei gleichzeitiger Hinterfragung des Zwecks dieses Erwerbs.
Über die Inhalte des Unterrichts darf daher und soll sogar gestritten werden, nicht nur bei den „Wissenden“ - also Lehrkräften und Eltern -, sondern auch unter und mit den Jugendlichen. Denn allein dieser Streit ist schon Zweck. Der Didaktiker Roland Fischer hat das so ausgedrückt: „Verbindliche Inhalte und Ziele vom Allgemeinbildung werden ausgehandelt. Und: Der Aushandlungsprozess selbst kann als Teil des Bildungsprozesses gesehen werden.“
Wo also steht die „Allgemeinbildung“? Sie bezieht sich auf die Humboldts, weiß daher, wie mit „Wikipedia“ umzugehen ist und macht „Bildung“ möglichst allen in möglichst breiter Form zugänglich: „Kein Kind zurücklassen!“
Übrigens: Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe gehen die Herausgeber von „The Gap - Magazin für Glamour und Diskurs“ der Frage nach, was in Zukunft Allgemeinbildung sein wird (vor dem Hintergrund einer permanenten technologischen Revolution, Migration, Popkultur, einem erodierten klassischen Bildungskanon und einem sich wandelnden Bildungssystem.) Im Vorfeld gibt es dazu eine sogenannte „Blog-Parade”, an der sich unterschiedliche Blogger und ExpertInnen zum Thema äußern - (wie ich hier) auf deren Blogs bzw. auf „thegap.at“.

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twenty twenty - 4. Apr, 15:35

Harald Walsers Beitrag zur Allgemeinbildung 2020-Blogparade

Für Dr. Harald Walser ist Allgemeinbildung,... [weiter]
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